Ist Virtual Reality nur ein Hype aus der Unterhaltungselektronik? Nein, es ist auch für geschäftliche Anwendungen interessant. Gerade in der Architekturvisualisierung bringt der virtuelle Rundumblick völlig neue Möglichkeiten.
Jeder Architekt kennt das Problem: Wenn Gebäude geplant werden, möchten die Auftraggeber zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein möglichst naturgetreues Bild des im Bau befindlichen Objekts erhalten. Ein heute gängiger Weg zur Vermittlung eines räumlichen Eindrucks sind Modelle, 2D- oder 3D-Grafiken. Doch oftmals werden Proportionen und die Raumwirkung vom Kunden nicht richtig eingeschätzt. Dies ist auch nicht sehr verwunderlich. Denn Architekten sind es gewohnt, sich Modelle und CAD-Zeichnungen als fertige Gebäude vorzustellen. Kunden fehlt diese Gabe jedoch oft.
So bringt eine fotorealistische 3D-Konstruktion zwar ein sehr reelles Abbild der Planungen, aber ein richtiges Gefühl für das Gebäude erhalten ungeübte Betrachter erst, wenn sie durch den Rohbau laufen können. Hier bieten Virtual-Reality-Brillen den entscheidenden Vorteil: Während man bei sämtlichen Modellen und Animationen immer von außen auf eine Szenerie blickt, steht man in der Virtual Reality (VR) mitten im Raum und kann sich nach allen Seiten sowie nach oben und unten umschauen. Wer eine VR-Brille – oft auch Head-Mounted-Display genannt – aufsetzt, erhält einen 360°-Rundumblick vom ausgewählten Standort – im oder vor dem Gebäude. So muss man sich Größenverhältnisse und Sichtachsen nicht theoretisch vorstellen, sondern erlebt sie so, als ob man im bereits gebauten Objekt stehen würde. Bei manchen Anwendungen kann man sich sogar frei im Gebäude bewegen und auf diese Weise sehr präzise überprüfen, ob die in der Planung gewünschte Raumwirkung erreicht wird. Wer seine Kunden bereits in der Planungsphase realitätsnah durchs Gebäude führen kann, überzeugt also durch eine professionelle Präsentation und erspart sich Missverständnisse.
Wie VR das Leben von Architekten erleichtern kann und welcher Nutzen mit welchem Aufwand verbunden ist, fand KommunikationsRaum.-Autor Markus Tischner im Gespräch mit zwei Experten aus der VR-Szene heraus. Zum Gespräch bereit erklärte sich Niclas Braun, Geschäftsführer des Hamburger VR-Softwareherstellers Virao, der aus Konstruktionsdaten VR-Apps erstellt. Er ist seit mehreren Jahren im Bereich Virtual und Augmented Reality aktiv und startete 2013 seine erste Gründung in diesem Bereich. Ebenfalls Rede und Antwort stand Dr. Stephan Otto, Projektleiter des sogenannten Holodecks, einer Anwendung, mit der man sich drahtlos frei im virtuellen Raum bewegen kann. Es wird beim Fraunhofer IIS-Institut in Nürnberg entwickelt. Dr. Stephan Otto ist in die strategische Planung und das Produktmanagement am Fraunhofer IIS eingebunden und beschäftigt sich mit der Weiterentwicklung und Einbettung von Technologien in zukünftige Anwendungen – zum Beispiel in der Logistik, Produktion und im Entertainment.
Virtuelle Realität in Düsseldorf
VR ist nicht nur Unterhaltung, sondern auch ein leistungsfähiges Instrument für Geschäftsführung. Wir erstellen spannende VR-Präsentationen, und Sie tauchen ein in eine Welt, die von uns geschaffen wurde, um Ihr Produkt bestmöglich vorzustellen.
Wenn wir von VR-Architekturvisualisierung sprechen, um was handelt es sich hier genau? Und welche Einsatzmöglichkeiten sehen Sie in der Architektur?
Niclas Braun: Prinzipiell sprechen wir bei einer VR-Architekturvisualisierung von 3D-Modellen, die durch Virtual Reality Headsets aus der Egoperspektive virtuell erlebt werden können. Sobald man das VR-Headset aufgesetzt hat, befindet man sich mitten in einem neuen Gebäude und nimmt dabei Größenverhältnisse real wahr. Die Einsatzmöglichkeiten sind sehr breit gefächert und reichen von einfachen Farb-Konfigurationen bis hin zu komplexen Planungsvorhaben von Großbauprojekten. Nun kann man sein Bauvorhaben schon weit vor Baubeginn nahezu real begehen und mögliche Fehlplanungen erkennen. Außerdem kann die neue VR-Technologie als mobiles Verkaufstool den Absatz fördern und Kunden früh von Bauvorhaben begeistern.
Herr Dr. Otto, Sie entwickeln die drahtlose Anwendung Holodeck, was kann man damit machen und wie kommt es zu dem Namen?
Dr. Stephan Otto: Das Holodeck ist eine Anspielung auf die Star Trek-Serien. Analog dazu können in unserem Holodeck die Nutzer mittels einer VR-Brille in einer großen Halle auf 1.400 m² völlig frei herumlaufen und dabei virtuelle Welten begehen. Dieses System ermöglicht unterschiedliche Anwendungsszenarien: Zum einen das interaktive Begehen geplanter Bauten noch vor Baubeginn für Bauherren, Kunden und andere Stakeholder. Zum anderen im Bereich der Bau- und Stadtplanung die frühzeitige Visualisierung für die unterschiedlichsten Gruppen – insbesondere für die beteiligten Anwohner.
Außerdem erlangt man eine hohe Planungsqualität durch frühzeitige digitale Absicherung und Begehen der Bauten. So können interaktiv unterschiedliche Planungsdaten von Gebäuden angezeigt werden, wie z. B. Rohre, Kabel oder Anschlüsse. Damit lassen sich auch später bei Umbauarbeiten alle relevanten Gebäudedaten interaktiv ausfindig machen. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit ist die Digitalisierung von Gebäuden oder kulturhistorischen Stätten, die es nur einmal gibt oder die für den Publikumsverkehr gesperrt sind. Somit können beispielsweise wertvolle Bauten wie Schlösser in Deutschland auch in anderen Gegenden als virtuelles Bauwerk betreten werden.
Wo sehen Sie den Unterschied von VR-Architekturvisualisierung zu herkömmlichen Methoden der Architekturvisualisierung?
Dr. Stephan Otto: Der Unterschied zu herkömmlichen Print- und Onlinevisualisierungen besteht darin, dass bei VR der Betrachter direkt in der Szene steht. Beim Holodeck kommt als zusätzliche Besonderheit noch das freie Bewegen auf 1.400 m² dazu. Mit diesen Möglichkeiten ergibt sich durch das Eintauchen der Betrachter in die Szene eine ganz andere Wirkung und Präsenz des Vorhabens. Es entsteht eine sehr hohe sogenannte Immersion.
Niclas Braun: Die Natur hat den Menschen sehr stark visuell ausgelegt, was diese Technologie eben so spannend macht. Bei herkömmlichen Visualisierungsmethoden nehmen Sie 3D-Modelle nicht als Ihre Umgebung wahr, sondern eher als Bild auf Ihrem Desktop. Ziehen Sie nun allerdings ein VR-Headset auf, können Sie das 3D-Modell in gewisser Weise real wahrnehmen. Stellen Sie sich vor, Sie könnten ein Bauprojekt Monate vor Fertigstellung begehen, was würden Sie dann anders machen? Durch die Einbindung der neuen VR-Technologie steigt also auch die Qualität des Outputs einer jeden Prozesskette. Daneben profitiert sowohl die Kommunikation intern als auch mit externen Partnern oder Kunden.
Ist das nicht sehr aufwendig?
Dr. Stephan Otto: Im Idealfall liegen 3D-Modelle bereits vor. Dann können diese unkompliziert ins Holodeck importiert und damit begehbar gemacht werden. Der Detailgrad, Lichtverhältnisse und die Größe sollten natürlich so dimensioniert sein, dass ein Echtzeitrendering möglich ist. Bislang ist die Rechenleistung noch beschränkt auf Smarthpones, aber das wird sich demnächst ändern. Wenn die Daten bereits in geeigneter Qualität und Format vorliegen, können wir diese in kurzer Zeit importieren und den Besuchern zugänglich machen. Der Zeitaufwand richtet sich je nach gewünschter Qualität und Dauer der Besichtigung. Die Erfahrungswerte für den Aufwand liegen zwischen mehreren Stunden und Tagen.
Wenn wir das Gesamt-Thema VR-Architekturvisualisierung betrachten, in welche Teilbereiche würden Sie es einteilen?
Niclas Braun: Hier ist die Linie zur Trennung expliziter Teilbereiche doch recht verschwommen. Generell können wir aber zwei Bereiche fest markieren: Zum einen alles, was rund um Planung und Konzeption innerhalb eines Projektes anfällt. Hier können Fehlplanungen vermieden und eine bessere Projekt-Kommunikation ermöglicht werden. Zum anderen all das, was die Themen Vertrieb und Marketing betrifft. Dabei geht es darum, den Kunden bereits vor dem Beginn eines Projekts eine Vorstellung von möglichen Bauvorhaben zu geben.
Welche Technologien empfehlen Sie für welche architekturspezifischen Aufgabenstellungen, wenn Sie ein Kunde für ein Architekturvisualisierungs-Projekt anfragt?
Niclas Braun: Der erste Schritt ist die Feststellung des eigentlichen Bedarfs: Möchte der Kunde mit Virtual Reality Headsets ein Gebäude intern planen und diese Technologie täglich gewinnbringend nutzen oder will er eigenen Kunden die frühe Begehung eines Bauprojektes ermöglichen? Dabei unterscheiden wir zwischen mobiler VR und stationärer VR. Mobile VR bietet ein 360°-Erlebnis einer virtuellen Szene. Diese ist feststehend, man kann sich also nicht frei im Raum bewegen. Dafür kann man diese Szene direkt auch auf mobilen Smartphone-Brillen, zum Beispiel der Samsung Gear VR, abspielen. Und man muss kein gesondertes Hardware-Setup mit speziellen Sensoren und meist kabelgebundenen Spezialbrillen aufbauen.
Bei der stationären VR kann man sich hingegen im Raum bewegen. Dafür muss jedoch ein spezielles Setup mit Sendern und Sensoren aufgebaut werden und man braucht fast immer spezielle Brillen. Der Aufwand ist also höher, dafür ist aber auch das Raumerlebnis intensiver. Für professionelle Anwendungsfälle bei der Gebäudeplanung empfehlen wir aktuell die Nutzung stationärer VR, wie es mit dem stationären VR-Headset HTC Vive möglich ist. Geht der Weg in Richtung Vertrieb, ist die Nutzung eines mobilen Headsets sinnvoll. Hier ist kein Setup nötig. Das Headset ist einfach zu bedienen und Inhalte können in höherer Qualität gezeigt werden, da die Software die Szene nicht in Echtzeit berechnen muss. Welche Technologie am Ende den meisten Mehrwert bringt, sollte allerdings individuell mit dem Kunden abgestimmt werden.
In diesem Zusammenhang ist das Holodeck ja eine besondere Entwicklung, die mobile und stationäre VR vereint.
Dr. Stephan Otto: Bei uns können – im Gegensatz zu anderen stationären VR-Methoden – die Besucher drahtlos in den Architekturmodellen frei herumlaufen. Es gibt weder Stuhl noch Kabel, welche die Nutzer am Herumlaufen hindern und man benötigt keine Spezialbrille, sondern kann mit herkömmlichen mobilen Smartphone-Headsets arbeiten. Diese sind bei uns mit einem kleinen Funksender ausgestattet, der die Position des Betrachters in Echtzeit an das VR-Modell sendet. Ebenso gibt es keine Maus oder Joystick, die bedient werden müssen. Jeder bewegt sich im Holodeck völlig natürlich und kann die virtuelle Welt ganz frei erkunden.
Wie läuft ein VR-Projekt in der Praxis in Ihrem Haus ab?
Niclas Braun: Nachdem wir geklärt haben, welche Ziele der Kunde mit seinem Projekt verfolgt, stellt er uns vorhandene 3D-Daten zur Verfügung. Nach der iterativen Entwicklungsarbeit erhält der Kunde eine spezifisch auf das Projekt zugeschnittene App, die auf einem Windows basierten Computer verwendet und vom Kunden selbst verwaltet und täglich genutzt werden kann. Ein Beispiel: Der Kunde öffnet die App und startet damit die virtuelle Szene eines Bauprojektes. Nun kann er das VR-Headset aufziehen und über ein User Interface in die virtuelle Welt eintauchen.
Dort angekommen hat er die Möglichkeit, Wandfarben, Bodenbeläge und weitere Ausstattungsvarianten mit einem Controller durchzuschalten. Des Weiteren kann diese App auch weiter ausgebaut werden, um dabei zum Beispiel die grundlegende Raumplanung zu prüfen und weiterzuentwickeln. Abmessungen und Konfigurationen werden aus einer realen Egoperspektive natür – licher und besser wahrgenommen, was spätere Fehlplanungen im Optimalfall direkt verhindert. Außerdem lassen sich in der Szenerie mögliche Individualisierungsoptionen präsentieren.
Wie gehen Sie mit Kunden um, die sich erstmals mit dem Thema Architekturvisualisierung beschäftigen und es für ihre Arbeit nutzen möchten?
Niclas Braun: Wir führen im ersten Schritt mit Kunden zielorientierte Workshops durch, in denen die gewünschten Anwendungsfälle iterativ herausgearbeitet werden. Dadurch kommt der Kunde direkt mit der Technologie in Berührung. Auf Basis der hier gesammelten Anwendungsfälle und Ideen bauen wir erste Pilotprojekte auf, die im Anschluss als tragfähige Lösung langfristig implementiert werden können.
Wie ist denn das Feedback Ihrer Kunden aus der Praxis?
Dr. Stephan Otto: Das Feedback ist sehr positiv, denn es ermöglicht Besuchern, Bauwerke so zu erleben, wie in der Realität auch. Interessanterweise werden die Wände und andere Hindernisse virtueller Bauwerke von den Nutzern so akzeptiert wie in der realen Welt auch. Das bedeutet zum Beispiel, dass Nutzer in virtuellen Gebäuden den Eingang nehmen, obwohl völlig gefahrlos Wände durchschritten werden können. Ebenso laufen Menschen ungern über Abgründe.
Niclas Braun: Das Feedback ist durchgehend positiv und immer mehr Industrien und Branchen erkennen sukzessive den Mehrwert. Generell werden weniger Planungsfehler gemacht und Kunden können sich nahezu perfekt vorstellen, wie das Endergebnis aussehen wird. Der Dialog zum Kunden erreicht dabei eine neue Qualitätsstufe.
Wo geht aus Ihrer Sicht die Reise im Bereich VR-Architekturvisualisierung hin? Was können wir in den nächsten Jahren erwarten?
Dr. Stephan Otto: Ich denke, es wird auf jeden Fall Dienstleistungen geben, die das Begehen von geplanten Bauprojekten schnell und kostengünstig ermöglichen. Die Erfahrung zeigt, dass es in der Praxis ungemein wichtig ist, bei größeren – vor allem auch öffentlichen – Bauvorhaben die späteren Nutzer und Anwohner und andere Stakeholder mitzunehmen. Ich denke da an Stuttgart 21. Hier hätte eine Besichtigungsmöglichkeit im Vorfeld für mehr Klarheit gesorgt. Und auch auf etwaige Vorbehalte hätte man so besser eingehen können. Die Menschen können sich am „lebenden Beispiel” einfach besser vorstellen, um was es genau geht.
Niclas Braun: Der VR-Sektor erfährt aktuell ein extremes Wachstum – wir werden in den nächsten Jahren eine kontinuierliche Ausbreitung der Technologie sehen. Der Architektur-Sektor wird von diesem Wachstum definitiv profitieren. Wir befinden uns in einer Übergangsphase zu immer besseren VR-Modellen und -Welten. Das wird unsere mediale Wahrnehmung nach und nach stark verändern und wir werden uns zunehmend daran gewöhnen, uns in virtuellen Realitäten zu bewegen.
Vielen Dank für das Interview.